Berlin Fashion Week: Flucht in die Mode
Erschienen am 16. Januar 2019 auf ZEITmagazin Online
Vor fünf Jahren floh Suleiman Jode aus Gambia nach Deutschland. Seit drei Jahren läuft sein Asylverfahren. In der Zeit des Wartens ist er zum Modedesigner geworden.
Dass diese Mode auf ihren Auftritt wartet, sieht man schon, wenn sie noch auf der Kleiderstange hängt. Diese Farben! Diese Muster! So viel Stoff! Suleiman Jode greift mit seinen Fingern dazwischen und schiebt Lagen und Lagen an Waxprint-Stoff beiseite – karminroten, blau-grün gestreiften, sonnengelben, violetten, einen mit breitem Zickzackmuster, viele mit wuchernden Blumen. Ein kurzes orangefarbenes Kleid mit Fransen am Saum zieht er hervor. Vorne auf der Brust hat der Designer ein großes Herz appliziert, ein Herz aus Zeitungspapier. Zeitungen mag Jode, zumindest die in Deutschland, deshalb das Herz, als Symbol der Liebe. "Die Zeitungen schreiben gut", sagt er. Sie würden dabei helfen, Probleme zu lösen, indem sie auf Dinge aufmerksam machten, die nicht so gut laufen. Oder indem sie Menschen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden würden. Menschen wie ihm.
Suleiman Jode ist 22 Jahre alt, Geflüchteter aus Gambia ohne geregelten Aufenthaltstitel. Und er ist Modedesigner. Die Kleidung, die er unter dem Namen Zillian Fashion entwirft, ist eine Mischung aus afrikanischer Tradition, europäischer Streetwear und eigenen Ideen. Bei den Stoffen, die er verwendet, handelt es sich um Waxprints, Baumwollstoffe mit farbsattem Batikdruck, wie sie in Westafrika üblich sind. Auch bei den Schnitten orientiert er sich an dem, was man dort traditionell so trägt, an den großen Gewändern, die den Körper eher wallend umspielen, als zu viel von ihm zu zeigen. Nur dass bei ihm die Schlitze ein wenig höher, die Ausschnitte ein wenig tiefer und die Rock- und Kleidersäume ein wenig kürzer sind. "Meine Mode ist auch groß", sagt er, "aber man sieht die Form, man sieht den Körper."
Es ist Montagnachmittag, der Designer sitzt zappelig auf einer Bierbank, die irgendwer hinter den Kulissen der Fashion Hall vergessen hat. Die schlaksigen Beine stecken in schwarzen Jeans, über dem floral gemusterten Hemd baumelt eine Kette, auf dem Kopf trägt er eine schwarze Strickmütze, deren Aufschrift "Fuck Off" nicht so recht zu seiner freundlichen Art passen will. In ein paar Stunden wird er hier seine Mode präsentieren. Die große Bühne ist es noch nicht, aber immerhin. Die Fashion Hall findet seit ein paar Jahren am Vorabend der Berlin Fashion Week statt, in Moabit, abseits der Messen, Showrooms und Salons. 14 Labels sind dabei. Es ist eine Modenschau für die, die auf den Durchbruch warten.
Dass Jode auch eine politische Botschaft im Gepäck hat, merkt man seinen Entwürfen nicht unbedingt an, aber der Titel seiner Kollektion verweist darauf: "They Know Our Story", sie kennen unsere Geschichte. Jode spielt mit dem Satz auf die langwierigen Asylverfahren in Deutschland an. Drei Jahre musste er auf seine Anhörung warten. Drei Jahre, in denen er Deutsch gelernt, seinen Schulabschluss nachgemacht und eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann angefangen hatte. Am Ende bekam Jode einen Abschiebebescheid. Er legte Klage ein, das Verfahren läuft. "Seit einem Jahr nichts Neues. Ich bekomme keine Informationen." Er sagt, er fände es besser, wenn man schneller erfahren würde, ob man bleiben könne oder nicht. Am besten nach ein paar Tagen, nicht erst, nachdem man drei Jahre lang seine Kraft gegeben habe.
Eigentlich sind es sogar schon fünf Jahre. So lange ist er jetzt schon in München. 17 war er, als er ankam, ein unbegleiteter Jugendlicher, der drei Monate Flucht hinter sich hatte. Geflohen war er, als Gambia noch unter der Militärherrschaft des Diktators Yahya Jammeh stand. Sein Onkel, bei dem seine Mutter nach dem Tod des Vaters mit seiner Schwester und ihm eingezogen war, war damals Minister. Als er sich mit dem Diktator angelegt hatte, kamen in der Nacht Soldaten und brachten ihn ins Gefängnis. Auch Jode und seiner Familie drohte die Verhaftung, sie konnten aber fliehen. Mit seiner Mutter und seiner Schwester ging er zuerst in den Senegal, machte sich dann allein auf den Weg nach Libyen, um von dort aus mit dem Boot nach Sizilien und schließlich nach Deutschland zu gelangen. Eine Tour voller Gefahren: die Überfahrt, vor allem aber die Zeit in Libyen. "In Libyen gibt es keine Regeln", sagt Suleiman Jode. "Die Menschen haben Waffen und benutzen sie, als sei es etwas zum Spielen."
Er spricht routiniert darüber, viel lieber aber über sein Leben in München und sein Leben davor in Gambia, als er im Schneideratelier seiner Mutter die Nachmittage verbrachte. Von ihr, seinem großen Vorbild, hat er gelernt, mit Stoffen und Schnitten umzugehen und mit der Maschine zu nähen.
Die Mode liege ihm im Blut, sagt er, aber nicht nur die. Früher, in Gambia, hat er auch Musik gemacht. Texte geschrieben, gerappt. Heute, in Deutschland, interessiert ihn nur noch eins. "Mode, Mode, Mode", sagt er, "alles, was ich in meiner Freizeit mache, hat mit Mode zu tun." Sobald er Feierabend hat, näht er oder zeichnet Entwürfe. Oder er schaut auf YouTube, was andere Designer so machen.
Sein Label Zillian Fashion befindet sich im Aufbau. Auf dem Markt ist es noch nicht, aber Kunden hat er in München schon: Afroamerikaner, die sich von ihm für Hochzeiten einkleiden lassen, Deutsche, die sich bei seinen Veranstaltungen Einzelstücke aussuchen, die passend kombiniert durchaus alltagstauglich sind.
Jodes erste Modeschau fand in einem Münchner Secondhandladen statt. Im Januar 2017 war das. Er hatte dort ein Praktikum gemacht und gesehen, dass es im Laden eine Nähmaschine gab. Und jede Menge Stoff. Also schlug er seiner Chefin vor, eine eigene Kollektion zu präsentieren. Er stellte die Schau auf die Beine, knüpfte Kontakte, die Presse berichtete, weitere Schauen folgten.
Sowieso ist er keiner, der herumsitzt und wartet, dass etwas passiert. Für den Bayerischen Rundfunk hat er in einer Radiosendung von und für Geflüchtete mitgearbeitet, für das Projekt Münchner KulturPaten ein Festival mitorganisiert und mit ein paar Freunden, Musikern, Rappern, Designern eine Gruppe namens Mad Music Design gegründet. Jedes Wochenende findet irgendetwas statt, an dem er beteiligt ist. Diese Woche bleibt er aber erst mal in Berlin und schaut sich auf der Fashion Week um. Vielleicht kommt er dort seinem wirklich großen Traum einen Schritt näher: dass afrikanische Mode auf den internationalen Fashion Weeks ihren Platz findet.