Alles anders am Alexanderplatz
Erschienen in Berliner Zeitung am 6. September 2019
Die Architektin Andrea Hofmann vom Berliner Büro Raumlabor will das Haus der Statistik in ein Quartier der Zukunft verwandeln
Wumms. Donnernd kracht eine Ladung Material durch die Schuttrutsche. „Doch lieber hineingehen?“ Andrea Hofmann lächelt fragend. Sie steht am Hintereingang der Werkstatt am Haus der Statistik, der zum Innenhof des Areals führt. Zehn Jahre lang war das Gelände sich selbst überlassen. Ein ganzer Wald aus Unkraut wucherte da, jetzt wird rückgebaut, saniert und neu gebaut. Und es wuchert etwas anderes: Ideen. Für die ist Hofmann mitverantwortlich.
Das Haus der Statistik ist ein Projekt, von dem man gar nicht mehr glaubte, dass es so etwas in Berlin noch geben könnte, erst recht nicht in so zentraler Lage, direkt neben dem Alexanderplatz. Das Haus der Statistik stellt sich der Kommerzialisierung und Gentrifizierung der Stadt quasi in den Weg.„Allesandersplatz“prangt es in Großbuchstaben vom Dach des Frontgebäudes. Anders soll hier tatsächlich vieles bis alles werden. In der DDR beherbergte der Gebäudekomplex aus den 60ern die Zentralverwaltung für Statistik, nach der Wende waren dort Teile des Statistischen Bundesamtes und die Gauck- bzw. Birthler-Behörde untergebracht. Seit 2008 nichts mehr. Eine 45 000 Quadratmeter große Büroruine mitten in Mitte.
In ein paar Jahren soll sich diese verwandelt haben in ein neues Quartier, ein Quartier der Zukunft mit Platz für Kunst, Kultur und Soziales, mit rund 300 bezahlbaren Wohnungen, die auch neue Formen des Zusammenlebens ermöglichen, aber auch mit Räumen für Verwaltung. Das neue Rathaus des Bezirks Mitte soll dort 2028 einziehen.
Am Anfang eine Guerilla-Aktion
Andrea Hofmann ist Architektin, sie arbeitet für das Berliner Büro Raumlabor, das sich mit Projekten an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Stadtplanung einen Namen gemacht hat und das quasi von Anfang an mit dabei war. Vor etwa vier Jahren war das, zur Berlin ArtWeek 2015, als AbBA, die Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser, spektakulär auf die Brache aufmerksam machte und ein Banner an der Front des Hauses anbrachte. „Hier entstehen für Berlin: Räume für Kultur, Bildung und Soziales“. Täuschend echt wie ein Bauschild sah das aus, war aber eigentlich eine illegale Guerilla-Aktion, mit der AbBA die prekäre Raumsituation von Kulturschaffenden anprangern wollte und die sich blitzschnell über die sozialen Medien verbreitete.
Als sogar der damalige Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke, ein „Gefällt mir“ unter dem Post platzierte, nahm die Geschichte ihren Lauf. Schon am nächsten Tag saß Raumlabor mit am Tisch, außerdem weitere Künstler und Aktivisten. Sie gründeten eine Initiative, luden den Bürgermeister ein, setzten eine Debatte in Gang, die tatsächlich Früchte trug, Kooperationsverträge zwischen dem Senat, dem BezirkMitte, der WBM, der BIM und der Initiative, besser gesagt der daraus entstandenen Genossenschaft ZUsammenKUNFTBerlin eG nämlich.
Hofmann zog 1996 aus Westdeutschland nach Berlin. Ihren ersten Abschluss hatte sie in der Tasche, und wie so viele wollte sie die Hauptstadt im Werden erleben und hier ihren Berufsstart als Architektin fortsetzen. Doch die Stadt war damals voll mit qualifizierten Architekten. Hofmann begann einen Ergänzungsstudiengang an der Kunsthochschule in Weißensee. „Es war diese Zeit in Berlin, die Nachwendezeit, die so viele Möglichkeitsräume hatte, ein großartiger Moment der tollen, freien Clubkultur, überall gab es Nischen, Situationen, die Aneignung ermöglichten.“
Die Gründung von Raumlabor gehört in diese Zeit. Hofmann beschreibt sie als einen Prozess entlang experimenteller Projekte. Zum Beispiel jenes, bei dem sie erstmals unter dem Namen Raumlabor firmierten: 1999 war das, eine Absolventenausschreibung, die sich „Linie 8“ nannte, weil es um die U-Bahnlinie U8 ging, die Osten und Westen verbindet. Raumlabor nahmen sich den Moritzplatz vor, gerade weil es für diesen keine sofort naheliegende Idee gab. Die Aktiven zeichneten eine Collage, auf der sich vieles überlagerte, unter anderem ein Wald mit Baumhäusern und ein Berg in Traufkantenhöhe. „Rückblickend betrachtet kann man sagen, dass wir damals bestimmte Arten derVorgehensweise in Projekten schon erprobt haben. Wir haben uns viel mit dem öffentlichen Raum zwischen den Hochbauten beschäftigt und mit damit verbundenen gesellschaftlichen Fragen“, sagt Hofmann. Immer, so wie auch jetzt, im Dialog mit Anwohnern. Das Anderssein hat bei Raumlabor Methode. „Bei den Künstlern sind wir immer die Architekten, bei den Architekten sind wir die Künstler.“ Zu fünft waren sie damals, heute sind sie neun.
Wie schon bei „Linie 8“ spielte die ehemalige Teilung Berlins und Deutschlands häufig eine Rolle in den Projekten Raumlabors. Eines ihrer ersten führte sie in die schrumpfenden Plattensiedlungen Halle Neustadts; unvergessen sind Raumlabors Aktionen im Palast der Republik kurz vor dessen Abriss. In einer ersten fluteten sie ihn, in einer zweiten errichteten sie im Inneren einen Berg.
Auch das Haus der Statistik ist ein Gebäude mit großer Symbolkraft – als Tor zur Karl-Marx-Allee und als Teil des Gesamtensembles rund um den Alexanderplatz, zu dem etwa auch die Nachbargebäude Haus des Lehrers oder Haus des Reisens gehören. Aus architektonischer wie stadtplanerischer Sicht hält Hofmannes für wichtig, diese Baugeschichte zu berücksichtigen.
Eine offene Tür
Vor allem sind da aber die Menschen, die mit dem Gebäude etwas verbinden. Nachbarn, mit denen das Miteinander schon erprobt wird, im Gespräch wie mit Yogastunden oder Tanzabenden in einem alten Autoscooter im Innenhof, Passanten, Besucher. Auch während des Interviews kommen Leute vorbei, bleiben stehen und schauen durch die Fenster oder treten einfach ein, ohne sich um Öffnungszeiten zu scheren.
Seitdem sie viel in der „Werkstatt“ arbeiteten, merkten sie das stark, erzählt Hofmann. „Kaum ist die Tür kurz offen, kommt jemand rein.“ Viele besuchten sie und erzählten, dass sie mal dort gearbeitet hätten, oder von den Läden in den Erdgeschossen, zum Beispiel von dem Café, an das noch die große Kaffeetasse am Kopf der Langgebäude BC erinnerte. „Das sind Sachen, die man zu erhalten versucht, weil sie Zeitgeschichte darstellen und etwas transportieren.“
Etwas transportieren soll auch das Kunstprojekt Statista, das zur anstehenden Berlin Art Week präsentiert wird. Erste sogenannte Pioniere, mit denen schon jetzt ausgetestet wird, wie eine zukünftige Nutzung des Gebäudes aussehen kann, Künstlergruppen und Kollektive laden dann ein, an ihren Ideen und Erfahrungen teilzuhaben. Am11. September eröffnet die Präsentationswoche unter anderem mit einem Auftritt des Chors der Statistik unter der Leitung von Bernadette La Hengst. „Wir bauen eine neue Stadt“, heißt es im Refrain einer der Songs. Das passende Motto.
Weitere Informationen unter http://allesandersplatz.berlin