Sympathie fürs Großgerät: Künstlerin Britta Thie beim Gallery Weekend in Berlin

Erschienen im Tagesspiegel 27. April 2023 – online

Wie sieht man auf Netflix möglichst slick aus? Britta Thie weiß das und kennt die Technik dafür genau. Jetzt malt sie HD-Kamera und Hebebühne, und will ein „schnelles Medium in ein langsames holen“.

Es wirkt fast ein wenig schüchtern, wie sie sich leicht nach unten neigt, als wolle sie dem Blick ausweichen. Als schäme sie sich etwas wegen ihrer Kratzer oder der Plastikplanen, die behelfsmäßig Teile von ihr abdecken. Das Bild „Cherry Picker“ stammt von der Berliner Künstlerin Britta Thie. Ein fotorealistisches Gemälde, Öl auf Leinwand, in Thies Einzelausstellung „Scene“ ist es zu sehen.

Cherry Picker, so nennt man im Englischen nicht nur eine Person, die sich grundsätzlich die süßesten Früchte aus dem Korb greift, sondern auch eine hydraulische Hebebühne, wie sie beim Film benutzt wird. Thie hat eine solche porträtiert und weiteres Großgerät von Film- und Fernsehsets. Licht- und Kameratechnik, Aufbauten und Fahrzeuge. Porträts sind es eindeutig, auch wenn sie vordergründig keine Personen zeigen.

Britta Thie, die auch als Schauspielerin und Model arbeitet, ist ihren Sujets bei Dreharbeiten in der Nähe von Budapest begegnet, in der künstlichen Szenerie eines Backlots. Als „stille Beobachter, die treu am Filmset ihren Job machen, alles begleiten und kreieren, HD-Streams produzieren und selbst doch recht analog sind“, beschreibt die Künstlerin sie. Dass man Sympathie für sie entwickeln kann, kann man durchaus nachfühlen. Nach einer gewissen Zeit beginnt man beinahe menschliche Züge auf den Bildern zu entdecken, wilde Frisuren, Hälse, Augen, Gliedmaßen.

Die Malerei überraschte ihr Umfeld

Das Treffen findet eine Woche vor der Eröffnung statt, mitten im Aufbau. Seit einem Jahr ist Thie im Programm der Charlottenburger Galerie Wentrup. Die Ausstellung ist ihre erste in der Galerie. Und das noch gleich zum Gallery Weekend, was eine große Chance ist, aber auch den Druck erhöht. Hängt alles richtig? Stimmt die Höhe? Funktioniert die Technik?

Im Jahr 2021 erst hatte sie ihre erste Einzelausstellung in Berlin, im Projektraum Fragile, und überraschte dort mit der Malerei. Bekannt ist die Künstlerin mit Videoarbeiten geworden. Mit der Webserie „Translantics“ etwa, die sie 2015 mit Arte und der Kunsthalle Schirn koproduzierte, mit sich selbst, ihrem Freundeskreis und ihrer Familie als Cast, und einer Handlung, in der sich ihr On- wie Offline-Leben spiegelte, beziehungsweise eine überzeichnete Version davon.

Gewissermaßen nähert sie sich dem Medium nun von der anderen Seite an. „Ich fand es spannend, den Maschinen, die diese slicken mobilen HD-Streams kreieren, die wir konsumieren, wieder Bilder zuzuführen und dabei ein Medium zu benutzen, das sehr viel Zeit braucht, ein ‚schnelles‘ Medium in ein ‚langsames‘ zu holen“, sagt sie.

Porträts von technischen Geräten

Für Thie selbst ist das mit der Malerei nichts Neues. Immer schon habe sie gemalt, sagt sie. An der Kunsthochschule in Münster, wo sie studierte, bevor sie an die UdK Berlin wechselte, habe sie sich mit einer Malereimappe beworben. Sie öffnet den Screen ihres Smartphones und zeigt auf ihrem Instagram-Profil das Foto eines fotorealistisch gemalten Selbstporträts, das sie im ersten Semester als Aufgabe angefertigt hat. Ein halbes Jahr habe sie daran gearbeitet, erzählt sie.

In der Ausstellung vereint sie beides: die Malerei und den Film. Zwischen den Gemälden läuft auf Splitscreens eine neue Videoarbeit. Thie exerziert darin mit zwei Performerinnen die Meisner-Technik durch, eine Übung aus dem Schauspielunterricht. Sie soll Spielenden helfen, in den Charakter zu finden, indem sie sich komplett auf ihr Gegenüber konzentrieren. Ein Script gibt es nicht, aus Beobachtungen und dem Prinzip der Wiederholung resultieren intensive Gespräche mit emotionalen Spannungsbögen.

Am Set in Budapest hat Thie die Übung praktiziert. Weil bei heutiger CGI-basierter Filmtechnik oft jedoch gar kein menschliches Gegenüber vorhanden ist, sondern vielleicht nur ein Tennisball auf einem Stativ, „fängt man irgendwann an, alles wie eine Fee zu verzaubern, weil man die Objekte mit der eigenen Projektionskraft zum Leben erwecken muss.“

So hängen Video und Malerei direkt zusammen. Überhaupt erscheinen sie in der Ausstellung als zwei Seiten einer Medaille. Filmausrüstung und Schauspielausrüstung, beides sei Werkzeug, sagt Thie, beides diene dazu, etwas zu ermöglichen, gute Aufnahmen eben, die möglichst echt, und nicht nur technologisch, sondern auch emotional hochauflösend rüberkommen. Immer perfektere Illusionen zur Selbstbeschau beim abendlichen Streamingkonsum.

Schon bei Fragile hatte sie Bilder von Filmtechnik gezeigt. Hat sie ihr Thema gefunden? Thie ist keine verkopfte Künstlerin. Bei ihr kommt vieles aus dem Herzen. Darin hat die Technik schon länger einen Ehrenplatz. In einer Folge von „Translantics“ sind Ausschnitte von Hi8-Videos hineingeschnitten, die Thie als Kind aufnahm. Eigene Versionen von Fernsehformaten der 1990er Jahre sind es, Nachmittagstalkshows, Reality-TV, Vorort-Reportagen mit ihr selbst in der Hauptrolle.

Im Prinzip hat sie schon damals das untersucht, worum es ihr auch heute noch geht, um die Frage, wie Realität produziert wird. Nur ihr Blick ist kritischer geworden. Dicke Kabelknäuel auf zwei Gemälden im Showroom der Galerie erscheinen wie Sinnbilder für die Verstricktheit in den täglichen Bilderstrudel der sozialen Netzwerke, für die Last der Sichtbarkeit.