Kolumne vom 11. Oktober 2018

Der Hoover-Staudamm am Colorado River zwischen Arizona und Nevada gliche einer Mondlandschaft, wären da nicht die Touristenmassen, die wie Ameisenkolonien ihre Wege durch die Serpentinen des Canyons bahnen. Colin Snapp hielt 90 Minuten lang seine Kamera auf das Geschehen. „NV Regional“ (2013/17) zeigt es ungeschnitten und unkommentiert aus sicherer Distanz, begleitet vom sirrenden Klang der Elektrizität, die im Staudamm erzeugt wird. Der Sound lässt die Besucher*innen wie ferngesteuert wirken, ein irres Bild, erst recht, wenn man die Geschichte des Damms bedenkt: In den 1930er Jahren während der Großen Depression wurde dieser als Vorzeigeprojekt us-amerikanischer Ingenieurskunst von Tausenden Arbeitern errichtet wurde, kostete dabei mehr als 100 Leben und hat bis heute fatale ökologische Folgen. Snapps Interesse gilt dem zeitgenössischen, durchökonomisierten touristischen Blick auf Landschaften. Das gilt ebenso für seine zweite Arbeit, die momentan bei Alexander Levy zu sehen ist. „Observatory“ (2018) zeigt Tourist*innen im Griffith-Observatorium in L. A., die sich in Cyborg-Manier mit ihren Selfie-Sticks ablichten – und macht Besucher*innen zu Betrachter*innen zweiter Ordnung (bis 27. 10., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Rudi-Dutschke-Str. 26).

Eisige Landschaften ohne Menschen bildet Josée Pedneault zeitgleich im Künstlerhaus Bethanien in ihrer Installation „Glazial-Kosmogonie“ ab. Die Künstlerin legt die Zusammenhänge zwischen der pseudowissenschaftlichen „Welteislehre“ des österreichischen Ingenieurs Hannes Hörbiger und nationalsozialistischen Ideologen dar, sie präsentiert historische Materialien, Fotografien, Skulpturen und Objekte wie in einem Museum der 50er Jahre. Schein oder Sein? Was Fälschung ist, was Dokument offenbart sich mal augenscheinlicher mal weniger. So lässt sich das Konvolut als Allegorie auf aktuelle Instrumentalisierungen von Fake News durch Populisten lesen (bis 28. 10., Di.–So. 14–19 Uhr, Kottbusser Str. 10).

Rätselhaft im besten Sinne ist hingegen der Parcours, den Bonnie Camplin bei Patrick Ebensperger umreißt. Er beginnt mit dem Bleistiftporträt eines Boxers, verknüpft mit Abbildungen von Sarah Connor aus „Terminator“, tanzenden Derwischen sowie mindmapartigen Notizen zu Elektrizitätslehre, Quantentheorie und parapsychologischen Phänomenen. „Free-will presupposes Full Disclosure“, lautet der Titel, Willensfreiheit erfordert volle Offenlegung. Camplin tut genau das, offeriert ein komplexes Netz an Bezügen – entwirren muss es jede*r selbst (bis 16. 12., Fr. 12–18 Uhr, Sa.+So. 12–17 Uhr, Plantagenstr. 30).