Onlinekolumne vom 3. November 2020: Was die Bilder erzählen

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Die Galerien halten im Lockdown die Stellung, zu empfehlen ist eine Tour zu Esther Schipper, Isabella Bortolozzi und Capitain Petzel.

Die Kunst hat noch einmal Glück gehabt bei diesem zweiten sogenannten Lockdown, immerhin die kommerziellen Galerien dürfen offen bleiben. Sie gelten als Einzelhandel und müssen sich nur an die entsprechenden Abstands- und Hygieneregeln halten. So fand am vergangenen Sonntag sogar ein weiteres Mal der vom Index initiierte „Sunday Open“ statt. Ein paar Galerien stellten ganz neue Ausstellungen vor, andere öffneten einfach so die Türen.

Einen eher ungewohnten Anblick der Galerie Esther Schipper – besonders für alle, die sich noch an die vorherige, imposante Schau von Philippe Parreno erinnern können – bieten seit Sonntag die kleinformatigen, fotorealistischen Gemälde von Andrew Grassie. Der Künstler hat sie der Wand entlang auf einer Linie in Zweier- und Dreiergruppen aufgehängt, als handle es sich um Stills eines Films. Ansichten eines Berliner Balkons sind darunter, fotografiert aus dem fahrenden Bus heraus. Blühende Narzissen. Parkende Autos hinter schlierigen Scheiben.

Manche der Gemälde unterscheiden sich beim flüchtigen Hinsehen kaum, die ihnen zugrundeliegenden Fotos sind nur Bruchteile von Augenblicken später oder früher aufgenommen. Es sind Bilder fürs Kopfkino, Bilder, die vom Sehen, Ansehen und Nichtsehen erzählen, denn warum Grassie gerade diese scheinbar unbedeutenden Details als Sujets gewählt hat, muss sich jede*r selbst beantworten.

Szenen aus umkämpften Räumen

Hannah Quinlan & Rosie Hastings, deren Ausstellung bei Isabella Bortolozzi am Samstag eröffnete, arbeiten ebenfalls auf Grundlage von Fotografien. Solche vom lockdownleeren Green Park in London sind es, den die Künstlerinnen wegen dessen Lage im politischen Zentrum der Stadt, aber auch wegen seiner langjährigen Nutzung als schwules Cruising-Gebiet ausgewählt haben.

In den Fresken (ja, Fresken!), die Quinlan & Hastings für ihre Schau anfertigten, wird der Park zu einer Bühne für Personen aus der LGBTQ-Community und für deren Kampf um Raum und Öffentlichkeit in den 80er und 90er Jahren. Welche Geschichte, die abgebildeten Szenen genau erzählen, bleibt offen, aber Anspannung, unterschwellige Aggression wie nach oder vor gewaltsamen Zusammenstößen spricht aus allen von ihnen.

Nur noch bis einschließlich Samstag ist bei Capitain Petzel eine kleine, aber sehr feine Auswahl von Aquarellen von Sanya Kantarovsky zu sehen. Fantastische kleine, poetische, auf Papier gebannte, surreale Bildwelten: Eine Judith, die dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes noch einmal tief in die Augen blickt, Männer, die eine Schlafende durch den Park tragen, in sich verkrallte Paare, geisterhafte Wesen, ein Schlafloser auf dem Bett sitzend, dessen Kopf vor lauter Grübelei groß und größer wird. Kaum sattsehen kann man sich an ihnen.