Interview mit 650maH: Nichts als heiße Luft?

Erschienen in WELT am Sonntag am 24. Februar 2019

Warum zwei Britinnen in einem Laden für E-Zigaretten nun Kunst verkaufen

Tabitha Steinberg und Ella Fleck haben vor einem Jahr ihre ungewöhnliche Galerie 650mAh eröffnet. Nicht in London, wo viele Kollegen unter Druck stehen, sondern in der englischen Kleinstadt Hove – in einem Vaporizer-Shop. Ihr Programm präsentieren sie nun mit der Gruppenausstellung „Life Hacks“ in der Berliner Galerie BQ.

WELT AM SONNTAG: Eine Galerie in einem Laden für E-Zigaretten – wie kommt man auf so eine Idee?

TABITHA STEINBERG: Der Vape-Shop gehört einem Freund von uns. Als er ein neues Geschäft aufmachte, fragten wir ihn, ob er etwas dagegen hätte, wenn wir darin eine Ausstellung eröffnen würden. Am Ende räumte er für uns einen ganzen Raum frei.

ELLA FLECK: Wir hatten kein Interesse, eine normale Galerie zu eröffnen, wo wir für den Raum allein verantwortlich wären. Der Vape-Shop war die perfekte Gelegenheit.

Sind Sie auf Gemeinsamkeiten zwischen dem Dampfen und zeitgenössischer Kunst gestoßen? Um heiße Luft geht es immerhin bei beidem.

STEINBERG: Einige Künstler sagten uns, dass sie die Idee des „Vaping“ sehr interessiere, also die Idee, Luft mit Geschmack zu kaufen.

Passiert es, dass Kunden, die sich eigentlich mit neuen E-Liquids ausstatten wollten, am Ende Kunst kaufen?

FLECK: Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich Kunst kaufen würden, aber es kommen definitiv Leute zu uns, die nie auf die Idee gekommen wären, eine dieser obskuren Galerien für zeitgenössische Kunst zu besuchen. Und wir sind bestimmt die einzige Galerie, die sieben Tage die Woche geöffnet hat.

STEINBERG: Sonntags sind wir oft selbst da.

Leben Sie denn nicht in Hove?

STEINBERG: Wir leben in London, aber die Galerie trägt sich von selbst. Wir müssen gar nicht vor Ort sein ...

FLECK: ... weil die Verkäufer des Vape-Shops unsere Galerieassistenten sind.

Was ist der Vorteil daran, abseits der großen Kunstzentren zu sein?

FLECK: Es ist nicht unbedingt ein Vorteil, nur eine andere Art und Weise, Dinge zu tun.

Spielt es überhaupt noch eine Rolle, wo sich eine Galerie befindet? Im Internet kann man viele Ausstellungen ja so gut anschauen, dass man gar nicht mehr hingehen muss.

STEINBERG: Viele Leute werden tatsächlich online auf uns aufmerksam.

FLECK: Wir nutzen Instagram wie unsere Website intensiv und führen unsere Ausstellungen dort weiter.

STEINBERG: Auf unserer Website setzen wir sogar die Idee des Vapings fort. Wenn man etwas anklickt, hört es sich an, als würde jemand inhalieren.

Sie hinterfragen das traditionelle Galeriemodell. Warum ist das nötig?

STEINBERG: In London müssen gerade viele Galerien schließen. Viele fragen sich, ob das Galeriemodell noch funktioniert, ob sie genug Kunst auf Messen verkaufen können, um ihre Mieten zu zahlen. Für die meisten Galerien sind Messen nicht das Interessanteste, aber nur so kann man offenbar überleben. Wir sind keine kommerzielle Galerie und stehen deshalb nicht unter diesem Druck, dennoch propagieren wir ein anderes Modell: Statt nur ein Ort für zeitgenössische Kunst zu sein, zu dem Leute allein aus diesem Grund kommen, kapern wir gewissermaßen den Vape-Shop samt Kundschaft.

FLECK: Manchmal machen wir Ausstellungen, in denen man etwas kaufen kann, um unser Programm zu finanzieren und die Künstler zu unterstützen, mit denen wir arbeiten. Und wir haben zusammen mit Künstlern eine käufliche E-Liquids-Linie entwickelt.

Dampfen Sie selbst?

FLECK: Zeitweise.

STEINBERG: Ich habe nie geraucht. Seit es 650mAh gibt, dampfe ich ab und zu, aber nur nikotinfrei.

Beate SchederWelt, Kunst, Interview