Jesper Just in der Galerie Wentrup: Überall Prothesen in der Stadt
Erschienen in WELT am Sonntag am 25. März 2018
Der Videokünstler Jesper Just zeigt, wie Architektur unseren Blick formt
Die Idee war irre, allein schon auf dem Papier. Und mehr sollte sie auch gar nicht sein. Das italienische Architektenkollektiv Superstudio entwarf im Jahr 1969 „Il Monumento Continuo“, eine Struktur aus Rasterwürfeln, die die ganze Welt umspannen und der Erdoberfläche, egal wo, die gleiche, gesichtslose Optik verleihen sollte. Superstudio kommentierte so Fortschrittsglauben und Globalisierung und verspottete die seit Mitte der Sechzigerjahre immer uninspiriertere und uniforme Ästhetik der modernen Architektur und Stadtplanung.
Dass der dänische, in New York lebende Videokünstler Jesper Just sich von diesem Projekt für seine aktuelle Ausstellung in der Berliner Galerie Wentrup (bis 16. April) inspirieren ließ, ist durchaus programmatisch zu verstehen. Zwar betont Just im Gespräch mit WELT AM SONNTAG, seine Arbeit handle nicht von Superstudio, vielmehr habe ihn der Titel fasziniert. „Continuous Monuments“ in der englischen Übersetzung setze Assoziationen frei. Genauso wie seine Videos. In diesen wachsen Türme quasi endlos in den Himmel, und auch die Filme laufen unaufhörlich im Loop. Was Just aber doch mit Superstudio verbindet, ist sein Blick auf Bauwerke. Wie die visionären italienischen Architekten betrachtet der Künstler nun Gebäude und ihre Bauweise als Indizien, um die Welt, in der wir leben, zu verstehen.
Im Video „Llano“ (2012) begegnen uns die Überreste der kommunistisch motivierten Siedlung „Llano del Rio“ in der kalifornischen Wüste. Im Jahr 1915 wurde sie von Job Harriman, einem erfolglosen sozialistischen Politiker, gegründet. Auch die Kommune scheiterte: Ihre tausend Mitglieder mussten den Ort aufgrund von Wasserknappheit verlassen. Übrig blieben nur Ruinen der von der Architektin Alice Constance Austin geplanten Gebäude, einer radikalen Feministin. In Jesper Justs Annäherung an den Ort regnet es in Strömen aus einer Regenmaschine, während eine übergewichtige Frau wie ein weiblicher Sisyphos versucht, die Steine wieder aufzurichten.
In „Servitudes“ (2015) bearbeitet ein Mädchen mit einer Behinderung an den Fingern mit kleinen Steinen die glatte Oberfläche des One World Trade Centers in New York und betrachtet dabei die Spiegelung ihres Gesichts. In „Continuous Monuments“ (2017) haut eine gedankenverlorene Kim Gordon (von der Band Sonic Youth) im Tutu mit einem Stock auf dem amerikanisch-mexikanischen Grenzzaun herum, so als spiele sie ein Xylofon.
Die Auswahl der Orte – eine verlassene Kommune, in der die Utopie zur Dystopie mutierte; ein kapitalistischer Wolkenkratzer, den der Künstler als „Prothese in der Stadt“ bezeichnet; eine Grenze, deren Zaun Donald Trump durch eine Mauer ersetzen will – ist so eindrücklich wie die Körper von Justs Filmfiguren, die diese Orte für sich zurückerobern: die schwergewichtige Arbeiterin, das behinderte Mädchen, die reife Frau, die sich kindlich gibt.
Justs künstlerische Methode ist die Irritation. Er arbeitet mit Techniken, die an das Hollywood-Kino erinnern: elegische Bilder, langsame Kamerafahrten, (Gender-)Klischees. Die Spannungsbögen, die er dabei aufbaut, löst er jedoch nie auf. Oder er dehnt sie so weit in die Länge, bis sie reißen.
In der Galerie hat Jesper Just nun selbst ein architektonisches Monument errichtet. Ein Aluminiumgerüst bindet die Videos (36.000 bis 50.000 Euro) auf Flachbildschirmen ein, wo sie bei voller Lautstärke gegen- und nebeneinander laufen, sodass die Rhythmen der Filme im Zusammenspiel eine eigene Dynamik entwickeln. Jeder einzelne scheint auf einmal mit den anderen verknüpft zu sein, wie ein endloses großes Ganzes – eine Superstruktur.