New Yorker Kunstmesse Armory Show: Gut gebrüllt, Löwe!
Erschienen in Die WELT am 10. März 2018 – online
Im November machte die New Yorker Kunstmesse Armory Show mit einem MeToo-Skandal Schlagzeilen. Nun präsentiert sie sich mit einer neuen Leiterin und mit einem schärferen Profil
Absicht war es vermutlich keine, dass der erste Publikumstag der Armory Show in diesem Jahr auf den Internationalen Frauentag fiel. Dennoch wirft das Datum in von MeToo geprägten Zeiten ein spezielles Licht auf die New Yorker Kunstmesse. Schließlich wurde auch in der Kunst in den vergangenen Monaten – etwa mit einem am 30. Oktober veröffentlichten offenen Brief unter dem Jenny-Holzer-Motto „We are not surprised“ – heftig über Vergehen einzelner hochrangiger Männer und strukturellen Sexismus diskutiert.
Dabei war es unter anderem die Armory Show selbst, die für Gesprächsstoff sorgte. Die Messe machte im November vergangenen Jahres mit ihrem eigenen MeToo-Skandal Schlagzeilen. Nachdem Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung gegen den damaligen Direktor Benjamin Genocchio bekannt wurden – hervorgebracht von mehreren Kolleginnen Genocchios sowohl bei der Armory Show als auch an seinen früheren Arbeitsplätzen Artnet und Louise Blouin Media –, musste dieser zurücktreten. An seine Stelle trat die bisherige Stellvertreterin Nicole Berry.
Man kommt nicht umhin, das mitzudenken, während man eines der ersten großen Werke betrachtet, die sich einem im Parcours der Kunstmesse, die seit 2001 in zwei Piers am Hudson River beheimatet ist, in den Weg stellen. Beth Campbells Büromöbelinstallation „dah-dah-dah-dah-dit, dah dah-dah-dah, di-di-di-di-dit“, präsentiert von der Baseler Galerie Anne Mosseri-Marlio in der von Jen Mergel kuratierten Armory-Sektion „Platform“ für Performances, Skulpturen und raumeinnehmende Installationen.
Campbell spielt mit ihrer Arbeit einerseits auf die Rolle der „Fräuleins vom Amt“ in Vorinternetzeiten an, andererseits auf den 80er-Jahre-Spielfilm „9 to 5“ (Deutsch: „Warum eigentlich … bringen wir den Chef nicht um?“), in dem drei Sekretärinnen Rache an ihrem sexistischen Chef nehmen. Visuell umgesetzt ist das in einer vielschichtigen Materialassemblage, mit der Cambell subtil, aber bestimmt die letztlich entscheidende Frage stellt: Wie weit sind wir eigentlich in den vergangenen Jahrzehnten in den feministischen Debatten tatsächlich vorangekommen?
Campbell ist nicht die Einzige: Künstlerinnen, die sich mit dem Machtgefälle der Geschlechter und Genderstereotypen auseinandersetzen, begegnen einem vor allem bei den jungen Galerien der „Presents“ einige. Möglichkeiten für den Abgleich mit historischen Positionen liefert indes die New Yorker Galerie Lelong. Dort gibt es ein Wiedersehen mit großen Künstlerinnen der Siebziger- und Achtzigerjahre, mit Ana Mendieta, Yoko Ono und Carolee Schneemann, die heute auf der Messe über ihre sechs Jahrzehnte umspannende Karriere spricht.
Berry will die Auswahl solcher Positionen keineswegs als Reaktion auf die Vorwürfe gegen ihren Vorgänger interpretiert wissen, sondern vielmehr als Zeichen dafür, wie sich die Messe den Themen unserer Zeit öffnet. Auch kommentieren möchte sie die Personalie Genocchio nicht. Vielmehr scheint sie mit dieser bereits abgeschlossen zu haben.
Nein, eine Herausforderung sei der Positionswechsel für sie nicht gewesen, sagt Berry und weist sogleich selbstbewusst darauf hin, wie viel mehr Erfahrungen mit Kunstmessen sie im Vergleich zu ihrem Vorgänger vorweisen könne. „Es war ein nahtloser Übergang“, sagt sie. Schon als Stellvertreterin Genocchios hatte Berry einige Neuerungen angestoßen, etwa die Vergrößerung und Neupositionierung der beiden kuratierten Sektionen „Platform“ und „Focus“ und der Einführung weiterer Panel- und Talkformate.
Damit geht es nun munter weiter. Berrys Vision ist die einer Messe, die moderne und zeitgenössische Kunst noch enger miteinander verzahnt und immer weniger, wie es bei der Armory Show zunächst üblich war, räumlich voneinander abgrenzt. Was das auf lange Sicht für die auf vor dem Jahr 2000 produzierte Kunst limitierten „Insights“ heißt? Intern diskutiere man gerade, ob auch die „Insights“ in Zukunft kuratiert werden sollten, so Berry. Angesichts der durchwachsenen Qualität der Stände dieser Sektion gewiss keine schlechte Idee.
Überhaupt hat die Bereitschaft zu Reformen offenbar einiges dazu beitragen, die Armory Show in der Gunst der Aussteller wie Sammler im Vergleich zu den anderen New Yorker Messen steigen zu lassen. Die im Mai stattfindende Frieze New York schwächelt, konnte sie sich doch beim lokalen Publikum allein schon aufgrund ihrer Insellage nie durchsetzen. Bei der Independent – so raunt es – „ist die Luft raus“, und die auf New Yorker Galerien begrenzte ADAA, die traditionell gleichzeitig zur Armory Show in der Park Avenue ihre Türen öffnet, ging in diesem Jahr erstmals schon eine Woche früher über die Bühne – mit geringeren Besucherzahlen.
Kein Problem für die New Yorker Galerien, die an beiden teilnehmen wie die Paul Kasmin Gallery. Diese versucht, mit einer Gruppenausstellung mit Fokus auf US- und südamerikanischer Kunst zu punkten. Darunter große Namen wie Robert Indiana, Alex Katz, Hockney und Warhol. Eindruck hinterlässt aber vor allem Roxy Paines Diorama „Meeting“ aus dem Jahr 2016, einer im Kleinformat nachgeschnitzten und bemalten Raumsituation, die obskure Treffen einer nicht näher bestimmten Selbsthilfegruppe suggeriert.
Eindeutiges Indiz für den neuen Aufschwung der Armory Show sind auch die Namen der Aussteller, die nach mehrjähriger Abwesenheit 2018 wieder mit dabei sind. Perrotin, Regen Projects und Eigen & Art gehören zu den prominenten Amory-Rückkehrern – und Gagosian.
Mit einem Paukenschlag, besser gesagt, mit einem Prankenschlag meldete sich die Großgalerie zurück: Im Mittelpunkt ihrer Einzelpräsentation von Nam June Paik steht die noch nie zuvor gezeigte monumentale Assemblage „Lion“ aus dem Jahr 2005 (1.500.000 Dollar) mit geradezu hypnotischer Wirkung. Auf der Mehrkanalvideoinstallation aus bogenförmig platzierten TV-Bildschirmen tanzt Merce Cunningham streng bewacht von einer bunt bemalten Löwenskulptur.
Interessanterweise sind es ansonsten vor allem afrikanische oder afroamerikanische Künstlerinnen und Künstler, deren Werke nach dem Messedurchgang im Gedächtnis bleiben: Tabita Rezaires „Sugar Wall Teardom“ zum Beispiel (25.000 Dollar). Die Installation, zu sehen bei der Johannesburger Goodman Gallery in der Sektion „Focus“, lädt dazu ein, im pinkfarbenen Gynäkologenstuhl Platz zu nehmen, während man ein Video Rezaires betrachtet, in dem die Künstlerin als Cyberheilerin auftritt. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Ausbeutung schwarzer Sklavinnen in der gynäkologischen Forschung von James Marion Sims im 19. Jahrhundert.
Am Stand der jungen Kapstadter Galerie Whatiftheworld setzt Athi-Patra Ruga mit einer afrofuturistischen Werkgruppe bestehend aus handbestickten, Tapisserien und einer über und über mit Glitzersteinen und Kunstblüten besetzten Skulptur dem südafrikanischen Performancekünstler Feral Benga (1906–1957) ein Denkmal.
Wenige Schritte davon entfernt zeigt die ebenfalls aus Kapstadt stammende Blank Gallery eine netzartige, textile Wandarbeit von Igshaan Adams und Malerei von Cinga Samson. Letztere verkaufte sich bereits in den ersten 15 Minuten der Messe restlos.
Einen wahrhaft glänzenden Auftritt legt Lina Iris Viktor bei der Mariane Ibrahim Gallery aus Seattle hin. Die britisch-liberische Künstlerin, die mittlerweile in New York lebt, arbeitet mit 24-Karat-Gold, das sie wie beim Vergolden auf schwarz angemalte Leinwand anbringt und zum Teil mit fotografischen Selbstporträts collagiert. Die Muster, die sie dabei kreiert, nehmen Bezug auf alte und neue Mythen weiblicher Prägung, auf traditionelle Kunst der malischen Volksgruppe Dogon und der Aborigines, auf Symbole der Azteken und der alten Ägypter oder auf die Architektur der afrikanischen Moderne (24.000 bis 35.000 Dollar). Überzeugt hat sie damit auch den Rapper Kendrick Lamar, allerdings mit weniger erfreulichen Auswirkungen. Ausgerechnet für ein Musikvideo seines Beitrags zum Soundtrack des Kinofilms „Black Panther“ kopierte er Viktors Kunst auf mehr als offensichtliche Art und Weise.
Viktor will sich zu der Angelegenheit nicht äußern, sie geht momentan rechtlich gegen Lamar vor. Nötig hat die Künstlerin die Unterstützung des Hip-Hop-Stars sowieso nicht. Am VIP-Tag stehen die Interessenten am Stand der Seattler Galerie Schlange. Im Sommer wird Viktor auf der Manifesta in Palermo vertreten sein, eine Einzelausstellung im New Orleans Museum of Art folgt. Die Armory Show ist erst der Anfang