Simon Mullan bei Dittrich & Schlechtriem: Wenn der Handwerker den Blues bekommt
Erschienen in WELT am Sonntag am 4. März 2018
Ist das noch Do it yourself oder schon Minimal Art? Für seine aktuelle Ausstellung in Berlin hat Simon Mullan dem Blaumann ein Denkmal genäht
Blaumann. Unter Gendergesichtspunkten ist das eine äußerst fragwürdige Bezeichnung für ein Kleidungsstück. Auch modisch betrachtet hat das Ding eigentlich nicht viel zu bieten. So ein Blaumann, wie man ihn im Fachgeschäft für Berufskleidung kaufen kann, besteht aus dicht gewebtem, kochfestem, langlebigem Textil, das in einem über die Zeiten kaum veränderten Schnitt zusammengenäht wird. Der Overall hat einen Gummizug, sodass er ohne Gürtel getragen werden kann, einen Reißverschluss zum schnellen An- und Ausziehen und allerlei praktische Taschen für Zollstock, Bierflasche, Mobiltelefon, aber sonst keine Raffinesse.
Dass sich die großen Modehäuser für ihn interessieren und selbst Dior in Paris unlängst eine ganze Reihe Blaumänner auf den Laufsteg schickte, ist bemerkenswert in einer Zeit, in der die einen im Co-Working-Space oder Homeoffice kaum mehr zwischen Job und Freizeit unterscheiden und die anderen angesichts von Digitalisierung und Automatisierung um die Zukunft ihrer Arbeitsstelle bangen. 110 Jahre ist es her, dass der Architekt Adolf Loos dem „Mann im Overall“ die Eroberung der Welt prophezeite. Heute dient sich das damit verbundene Bild des hart arbeitenden Mannes vielmehr zur Ironisierung oder Romantisierung an.
So wirken auch die 78 Bilder, die Simon Mullan in der Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem rundherum in Reih und Glied aufgehängt hat, wie Relikte aus einer vermeintlich guten alten Zeit. „Blaumann“ heißt die Ausstellung (bis 14. April). Mullan hat den Rohstoff für seine Kunst bei einem auf Konkursmasse spezialisierten Onlinehändler gekauft: mehr als 100 gebrauchte Blaumänner, und zwar die echten, nicht die Super-Mario-Latzhosen aus dem Baumarkt. Für jede der Arbeiten schnitt Mullan einen Blaumann auseinander, nähte ihn patchworkartig wieder zusammen und spannte ihn über einen Keilrahmen, als handle es sich um Gemälde der Minimal Art. Ganz so seriell gleichförmig sind sie aber nicht: Manche Stoffe sind abgenutzter als andere, haben Löcher, Flecken, Risse. Die Farben unterscheiden sich, changieren von leuchtendem Ultramarin bis zu dunklem Navy.
Bei ihrer Betrachtung wundert man sich, dass sie nicht doch etwas nach Muff, Motoröl und Männerschweiß riechen. Mullan hat die Overalls gewaschen, bevor er Hand an sie legte. Letzteres ist wörtlich zu verstehen. Mullan, geboren 1981, ist der Handwerker unter den Berliner Künstlern seiner Generation. Während andere am Monitor CGI-Renderings produzieren oder den 3-D-Drucker füttern, sitzt er lieber an der Nähmaschine. Oder er verlegt Fliesen. Bis vor Kurzem hat er hauptsächlich das getan. Er hat gewöhnliche Keramikfliesen fein säuberlich zerschnitten, zu Wand- oder Raumobjekten verlegt und verfugt. Und er hat ähnlich wie nun die Blaumänner schon Bomberjacken bearbeitet, hat sie gehäutet, zerschnitten, zusammengenäht und aufgezogen. Das gewaltsame Auseinandernehmen maskulin besetzter Kleidungsstücke, um sie sich mittels feminin besetzter Handarbeitsfertigkeiten wieder anzueignen, hat bei ihm Methode.
Alles macht er selbst, alles manuell. Auch die Rahmen, die nun jede der Arbeiten umschließen. Sie sind aus Stahl, dem Material, das wie kein anderes für schwere, physische Arbeit steht. Mullan hat sie selbst verschweißt. Nur konsequent erscheint es da, dass er während der Arbeit an der Ausstellung auch selbst einen Blaumann trug. Der Künstler streckt seine zerkratzten Hände vor, während er vom Nähen, Tackern und Schweißen erzählt und davon, wie er sich früh, mit digitaler Bildbearbeitung konfrontiert, für so ziemlich das Gegenteil begeisterte. Fliesenlegen lernte er als Jugendlicher, Nähen in der Schule. Was er noch nicht kann, bringt er sich selbst bei.
Das passt alles ins Bild, der DIY-Anspruch und die alltäglichen, wenn man so will „armen“ Materialien, die Fliesen von Obi, die Kleidung von der Resterampe. Mullan fühlt sich in der Tradition der Arte povera. Alberto Burri nennt er seinen Helden. Man sieht es den Arbeiten an. Auf Mullans Kunst wirkt sich das aber noch anderweitig aus: Sie ist günstig in der Herstellung – und im Preis. 3000 Euro kostet ein „Blaumann“. Erschwinglich und vom Künstler im beuysschen Sinne durchaus erwünscht. Das Beste wäre natürlich, jemand würde die ganze vom Aussterben bedrohte Blaumannschaft kaufen. Mullans Ausflug ins Monteursgeschäft soll ein einmaliges Projekt bleiben. Nur zum Tragen hat er sich ein paar Exemplare gesichert.