Der Körper als Waffe: Feministische Avantgarde

Erschienen in Numéro Berlin im April 2018

In den 1960er- und 1970er-Jahren traten Künstlerinnen mittels Performance gegen herrschende Machtstrukturen und Geschlechterverhältnisse an. Als Mittel dienten auch neue Medien wie Video und Fotografie – sowie der furchtlose Einsatz der eigenen Person

Mit einer Hose die Welt verändern. Versucht haben mag das so mancher Designer, tatsächlich getan hat es die Künstlerin, die sich Valie Export nennt, weil sie weder den Namen ihres Vaters oder noch ihres geschiedenen Mannes tragen wollte, sondern lieber den einer Zigarettenmarke. Die Aktionshose: Genitalpanik war eine schmale dunkle Jeans, die den Schritt freiließ. Auf diese Weise be- beziehungsweise entkleidet ging Valie Export im geschichtsträchtigen Jahr 1968 in einem Münchner Kino zwischen den sitzenden Besucher*innen umher, die entblößten Genitalien auf deren Augenhöhe, anfassen erlaubt. Valie Export wollte auf diese Weise den auf der Leinwand präsentierten, objektivierten und stereotypen Frauenfiguren ein reales Pendant gegenüberstellen, sich selbst. Kunst war und ist für sie, die zunächst im Dunstkreis der Wiener Aktionisten agierte, sich dann aber von diesem männerzentrierten Zirkel löste, primär ein Medium der Selbstbestimmung, getragen auf ihrer Haut, ausgeführt mit ihrem Körper. Bekannter als die Aktion im Kino sind heute die Fotografien der Aktionshose: Genitalpanik, die ein Jahr darauf entstanden und erst kürzlich in der Berliner Galerie Mehdi Chouakri zu sehen waren. Valie Export trägt darauf die Haare wild zerzaust, hält ein Maschinengewehr in der Hand und lässt auch sonst in ihrem Gestus an ihrer Entschlossenheit keinerlei Zweifel. Wer diese dennoch schriftlich bestätigt braucht, muss nur die Texte zur Hand nehmen, die Valie Export 1972 für ihr Woman’s Art. Ein Manifest verfasste und die programmatisch nicht nur für ihre eigene künstlerische Praxis, sondern auch für die ihrer Zeitgenossinnen steht: „die kunst, die der mann uns aufdrängt, verändern, heißt, die facetten der frau, die der mann gebaut hat, zerstören“.

In den 1960er und 1970er-Jahren machte sich eine Generation Künstlerinnen daran, den Status Quo aufzumischen und das patriarchale Erbe der Moderne, in der für Frauen in der Kunst maximal die Rolle von Musen vorgesehen war, zu zerlegen. Valie Export war eine der radikalsten Vertreterinnen, doch längst nicht die einzige. Geprägt von der prüden Erziehung der 1950er-Jahre wollte sich eine ganze Reihe junger Frauen nicht länger abfinden mit vorgegebenen Rollenentwürfen, die für sie aufgrund ihres Geschlechts einzig ein Leben als brave Ehe- und Hausfrau vorsahen, und wählten die Kunst, ihrer Wut auf die Verhältnisse Ausdruck zu verleihen.

Der Widerstand gegen konservative Moralvorstellungen und Lebensformen, der sich im Zuge der zweiten Frauenbewegung auch auf gesellschaftlicher Ebene formierte, fand einen Widerhall in einer künstlerischen Praxis, deren Ästhetik sich retrospektiv überraschend zu ähneln scheint, selbst wenn die Frauen an ganz unterschiedlichen Orten arbeiteten: Valie Export und Birgit Jürgenssen in Österreich, Ulrike Rosenbach in Deutschland, Sanja Iveković in Jugoslawien, Ewa Partum in Polen, in den USA unter anderem Martha Rosler, Carolee Schneemann oder Ana Mendieta, der der Berliner Martin Gropius Bau unter dem Titel Covered in Time and History: Die Filme von Ana Mendieta bis zum 22. Juli 2018 eine Einzelausstellung widmet.

DIE ERSCHAFFUNG EINES GEGENBILDES

Neue Medien wie Fotografie, Video und Performance – damals noch bekannt unter dem Namen Aktion – spielten ihnen allen dabei als geeignete Werkzeuge in die Hände. Aus mehreren Gründen: Anders als klassische Genres wie Malerei oder Skulptur waren diese noch nicht von vornherein maskulin besetzt. Außerdem passten die Eigenschaften dieser neuen Medien nur zu gut zu den Methoden und Konzepten der Künstlerinnen, konnten sie damit doch impulsiv und unmittelbar experimentieren – allein, für sich, im Studio oder vor Publikum. Und sie ermöglichten die Arbeit mit dem eigenen Körper, dem eigenen Bild, die Erschaffung eines Gegenbildes, denn darum ging es ihnen ja zuvorderst, das gesellschaftliche und medial vermittelte Bild von Frauen subversiv auszuhebeln. Als Subjekt, nicht als Objekt traten sie hervor, das eigene Gesicht als Zeichen der Selbstermächtigung. Mit Fotografie und Video visualisierten die Künstlerinnen ihre eigene Perspektive auf Weiblichkeit und weibliche Körperlichkeit direkt und unverfälscht, gängige Bilder, auch der Kunstgeschichte offensiv aufs Korn nehmend.

Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin war 1975 der Titel einer Videoarbeit der Künstlerin Ulrike Rosenbach. Darin schießt sie in Amazonenmanier mit Pfeilen auf das Gesicht der Madonna aus Stephan Lochners Gemälde Madonna im Rosenhag (1473), das währenddessen immer wieder von ihrem eigenen überblendet wird. Rosenbach zielte kämpferisch gegen zwei mythologisch geprägte, in der Kunstgeschichte verankerte Rollenbilder: das der holden Madonna und das der kriegerischen Amazone. „Ceci es tune pièce d’art féministe“, schrieb sie nach der Video-Live-Aktion an die Wand des Ausstellungsraums im Palais Galliera in Paris.

Kämpferisch und mit klarem feministischen Impetus hatte sich Rosenbach bereits in einer früheren Arbeit inszeniert, in der Pose des bewaffneten Elvis aus Andy Warhols Double Elvis von 1963. Rosenberg montierte sich 1972 für Art is a criminal action als Doppelgängerin neben Elvis – ein Angriff auf die Rollenklischees auch in der Kunst.

Auch wenn eine wie Rosenberg mit Pfeil und Bogen und Pistolen kokettierte – der Körper war die eigentliche Waffe jener Künstlerinnen. Valie Export ließ sich 1968 von Passanten in ihrem Tapp- und Tastkino anfassen, Ana Mendieta präsentierte sich 1972 als Vergewaltigungsopfer in Rape Scene, Ewa Partum performte ihren feministischen Protest nackt.

SEI DOCH EIN MÄDCHEN

Die Künstlerinnen waren radikal und unerschrocken, mussten es auch sein. In mehreren Interviews erzählte Carolee Schneemann, deren Kunst die Malerei zum Ausgangspunkt hat, wie ihr schon auf dem College abgeraten wurde, ihr Herz an die Kunst zu hängen. Sie sei doch nur ein Mädchen. Auf der Kunsthochschule hielten ihre Kommilitonen und Professoren sie an, nackt Modell zu sitzen. Als sie jedoch begann, sich selbst nackt zu malen, warfen sie ihr moralische Vergehen vor. Das hielt Schneemann jedoch nicht davon ab, intensiv nach eigenen, körperbetonten Formen des abstrakten Expressionismus zu suchen, nach Möglichkeiten, ihre Vorstellungen von Erotik und weiblicher Sexualität sowie der Vielfalt weiblicher Körperlichkeit zu verbildlichen. Glücklicherweise. Fuses (1964–1967) zeigt Schneemann mit ihrem damaligen Freund, dem Komponisten James Tenney, beim Sex. In der Kultur, in der sie aufwuchs, gab es nichts, dass die von ihr gelebte Erotik widergespiegelt hätte – also filmte sie es eben selbst. In den 1960er-Jahren ein Skandal. Auch Feministinnen kritisierten Schneemann dafür, ihren Körper zur Schau zu stellen. „Ich neige dazu, die Dinge zu zeigen, die verboten sind, anzusehen“, sagt Schneemann. Sanfter Spott klingt dabei durch. Wenn sie heute, mit fast 80, wie kürzlich bei einem Talk auf der New Yorker Kunstmesse Armory Show davon erzählt und von den Widerständen, denen sie in frühen Jahren ihrer Karriere begegnete, scheint sie ihren Frieden damit gemacht zu haben. Die Zeiten haben sich geändert. Längst ist Schneemann etabliert. 2017 bekam sie bei der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk. Gerade ging im New Yorker MoMa PS1 eine große Retrospektive zu Ende.

VAGINAS AUS ALTEN KAUGUMMIS

Für andere Künstlerinnen kam die Anerkennung zu spät. Hannah Wilke etwa, der wie Schneemann von allen Seiten vorgeworfen wurde, sie würde ihren makellosen Körper zu freizügig in ihrer Kunst einsetzen, starb bereits mit 52 Jahren an Krebs. Wichtige Werke Wilkes wurden erst nach ihrem Tod von großen Museen gekauft. Stereotype Vorstellung von der Darstellung von Weiblichkeit, wie sie auch Feministinnen ihrer Zeit vertraten, sorgten für kontroverse Diskussionen ihrer Selbstporträts, auf denen sich Wilke in verschiedenen Rollen mit Vorliebe halb oder ganz nackt und mit aus alten Kaugummis geformten Vaginas beklebt zeigte. Chris Kraus widmete Wilke in ihrem Briefroman I love Dick 1997 eine Art Essay, in der sie die Doppelstandards aufzeigt, mit denen Künstler und Künstlerinnen darin bewertet werden, wie sie ihr Privatleben zum Material ihrer Kunst werden lassen. „If women have failed to make ‘universal‘ art because we’re trapped within the ‘personal‘, why not universalise the ‘personal‘ and make it the subject of our art?”, wird Wilke darin zitiert. Die Künstlerin machte sich selbst zum Zentrum ihrer Kunst, drang dabei tief in männliches Terrain vor. Zutief für ihre Zeitgenossinnen offenbar, zu selbstbewusst, zu extrem. Ebenso fiel dann jedoch auch ihre künstlerische Antwort auf die Kritik aus: Marxism and Art: Beware of Fascist Feminism war ein Poster mit eben diesem Schriftzug aus dem Jahr 1977, auf dem sie in der Pose eines Männermagazins steht, mit Kaugummis beklebt, breiter Krawatte zwischen den nackten Brüsten und lasziv-aufforderndem Blick.

Nicht nur Hannah Wilke schlüpfte für ihre Kunst in die Rolle von Klischeefiguren. Lynn Hershman-Leeson weckte in ausgeklügelten Verwandlungsstrategien die fiktive Persönlichkeit Roberta Breitmore (1970–1979) zum Leben. Cindy Sherman perfektioniert das Prinzip der Selbstinszenierung bis heute. Andere Künstlerinnen arbeiteten sich vor allem an der Hausfrauen- und Mutterrolle ab. Eine der bekanntesten Arbeiten der Österreicherin Birgit Jürgenssen ist ihre Hausfrauen-Küchenschürze von 1975, ein Blechherd zum Umhängen in Schürzenform, in dem sie sich adrett posierend ablichtete. Martha Roslers ikonische Videoarbeit Semiotics of the Kitchen stammt aus demselben Jahr. In dieser geht Rosler ihre Küchengeräte von A wie Apron (Schürze) bis Z in immer skurriler wirkenden Performances durch. Man kann das Video auf Youtube sehen, auch seine zahlreichen Neuinterpretationen, in denen unter anderem Barbie die Rolle Roslers übernimmt. Die Arbeit wirkt weiter.

SCHAM- UND ANGSTLOS

Wenn man sie sich heute betrachtet, die radikalen Performances, Videos und Fotografien der Künstlerinnen der 1960er und 1970er-Jahre, für die Kunsthistorikerin Gabriele Schor den Begriff der Feministischen Avantgarde geprägt hat, wirkt vieles erstaunlich aktuell. Das Private ist auch heute noch politisch, vieles, worüber heute unter dem #metoo diskutiert wird, war schon damals Thema, und es ist zweifellos heute kaum weniger faszinierend als damals, zu sehen, wie scham- und angstlos die Künstlerinnen ihre Pfeile gegen herrschende Machtstrukturen spitzten. Hat sich in all den Jahrzehnten also wenig geändert? Immerhin, die Pionierinnen, die Grenzgängerinnen sind mittlerweile anerkannt in dem Kunstsystem, das sie revolutionierten. Und sie haben den Weg geebnet für die Künstlerinnen, die nach ihnen kamen, wie Tracey Emin in den 1990ern, oder die Netzfeministinnen der 2010er, wie Amalia Ulman oder Petra Collins. Sie führen ihre Mission mit neuen Mitteln und aktualisiertem Fokus fort.

Beate SchederNumero, Kunst