Gallery Weekend 2019: Rundgang Kreuzberg

Erschienen in Monopol im April 2019

 

Kotti kann jeder. Wer wissen will, wo Kreuzberg tatsächlich noch rau und kein bisschen hip ist, beginnt seine Tour am Mehringplatz gleich hinterm U-Bahnhof Hallesches Tor. Das Betonrondell wurde Ende der 60er-Jahre von Hans Scharoun geplant und von der Boulevardpresse immer wieder gerne als „Schandfleck“ bezeichnet, dabei frittiert der Libanese dort die besten Falafel der Stadt.

Derart gestärkt findet man sich nach ein paar Schritten in der Galerie von Daniel Marzona wieder, in der man sich gleich noch viel weiter weg träumen kann. Axel Hütte, der seit mehr als zwei Jahrzehnten die Welt bereist wie ein zeitgenössischer Alexander von Humboldt, präsentiert dort seinen „Kosmos Tropical“. Wo der konkret liegt, spielt eigentlich keine Rolle, vielmehr geht es um Hüttes Idee von Landschaft. Mit seiner Plattenkamera schafft er es, Momente einzufrieren, die Wäldern, Wipfeln oder Wiesen dramatische Imposanz verleihen. Man muss sich erst zurechtgucken, um zu erkennen, was sich hinter Nebelschwaden verbirgt oder was sie da gerade worin spiegelt.

Die Perspektive verdrehen kann einem auch die vier Meter hohe Skulptur von Alice Aycock – sie soll die wirbelnde Bewegung von Windenergie darstellen. Ausgestellt ist sie im sogenannten Corner Space der Galerie Thomas Schulte. Heißt: Man kann sie schon von außen sehen, was zu hektischen Gallery-Weekend-Zeiten seine Vorteile hat. Nur wer reingeht, hat allerdings die Chance, auch Jonathan Laskers Malerei zu begutachten. 

Nach dieser kleinen Schleife ins angrenzende Mitte geht es in die Lindenstraße, wo sich KOW in den ehemaligen Räumen von Konrad Fischer niedergelassen hat. Die Galerie blickt zum Neustart zurück auf ihre Anfänge im Jahr 2009, zeigt wie damals Franz Erhard Walther, 2019 jedoch gemeinsam mit dem Künstlerduo Clegg & Guttmann.

Bei Chert Lüdde schwelgt Sol Calero indes in Erinnerungen an die Sommer ihrer Kindheit im Landhaus ihrer Großmutter, die dort gemeinsam mit einer Schar Kinder aus der Umgebung malte und Kunsthandwerk betrieb – und lässt das Gallery-Weekend-Publikum netterweise sinnlich daran teilhaben. Es ist Caleros erste Einzelausstellung in der Galerie, sie ist neu im Programm. Genauso neu bei Chert Lüdde ist der hauseigene Projektraum Bungalow, der von Juan Antonio Olivares bespielt wird.

Nicht mehr weit ist es im Anschluss zu Barbara Weiss: Ob die junge Malerin Frieda Toranzo Jaeger die Inspiration für ihre neuesten Arbeiten, in denen sie den maskulin geprägten Automobilfetisch mit feministischem Blick auseinandernimmt, an der Kottbusser Straße fand, über die der Weg führt? Gut möglich. Getunte Schlitten mit aufheulendem Motor gehören dort schließlich zum Kreuzberger Standardrepertoire. 

Beate SchederMonopol, Kunst