Gallery Weekend 2019: Rundgang Potsdamer Straße

Erschienen in Monopol im April 2019

 

Spätestens seit im vergangenen Jahr der britische Modedesigner Paul Smith seine erste Berliner Boutique auf der Potsdamer Straße eröffnete, scheint dort in Sachen Aufwertung nichts mehr unmöglich. In dem Ladenlokal wurden zuvor Devotionalien verkauft, jetzt gibt es statt Heiligenbildchen karierte Blazer für 1000 Euro, während ein paar hundert Meter weiter südlich der Erotikmarkt „LSD“ mit angrenzendem Straßenstrich und das Billigkaufhaus Woolworth die alte Ranz-Fahne hochhalten.

Kein Teil Berlins hat sich in den vergangenen Jahren rasanter verändert, mitbefeuert durch die Galerien, die seit den Nullerjahren sukzessive an der Potse ihre Zelte aufschlugen. 

Früh dabei war Helga Maria Klosterfelde Edition, wo aktuell Jorinde Voigt beweist, dass sich ihre Reflexionen über Musik, Philosophie oder naturwissenschaftliche Phänomene, die sich normalerweise in anmutigen Zeichnungen auf Papier manifestieren, hervorragend auch in den dreidimensionalen Raum ausdehnen lassen. Dabei entstehen Objekte, die man als Tische, Paravents oder Kissen benutzen könnte. Letztere bezieht sie beispielsweise mit farbigen Stoffen, deren Komposition auf ausgeklügelten Analysen der Farbwahrnehmung bestimmter Blumen oder Pflanzen basieren, was natürlich bestens zum Frühling passt und als Einstimmung in den Schöneberger Kiezspaziergang.

Wahrscheinlich sprießt das eine oder andere jener Gewächse auch im Garten von Bernar Venets Anwesen in Südfrankreich. Mehr noch ist es aber das Interesse an der Mathematik sowie am Zufall, das Venet und Voigt verbindet. Venet bespielt die imposanten Räumlichkeiten von Blain|Southern in den Mercator-Höfen und zwar nicht nur mit Variationen seiner „Indeterminate Line“-Skulpturen – monumentale Rostspiralen, mit denen er bekannt wurde –, sondern auch mit kurvenförmigen Wandarbeiten aus Stahl. Platz ist in der zweigeschossigen Halle, in der einst der „Tagesspiegel” gedruckt wurde, ja genug. 

Noch weiter oben, im musealen White Cube von Esther Schipper spielt die Kunst Mäuschen. Ryan Gander präsentiert dort unter anderem eine Weiterentwicklung seiner Animatronikmäuse, die mit der Stimme seiner 9-jährigen Tochter nach Worten ringt. 

Ganz andere Geschöpfe haben es Veit Laurent Kurz angetan. In seinen gruselig-idyllischen Fantasiewelten, die er am Schöneberger Ufer bei Isabella Bortolozzi aufbaut, tummeln sich sogenannte Dilldapps. Der Sage nach stammen diese aus dem Hunsrück, in der kurzschen Interpretation handelt es sich um sinistre Männchen, die eine Partydroge namens HERBA-4 brauen. 

Statt davon zu kosten bietet es sich an, zum Abschluss nebenan bei Barbara Wien Bekanntschaft mit dem südkoreanischen Künstler Kim Yong-Ik zu machen. Dessen erste Ausstellung in Deutschland verschafft Überblick über sein 40 Jahre umfassendes Werk. Ihr Titel: „This is not the answer“. Nur: Was war noch gleich die Frage?

Beate SchederMonopol, Kunst